Ostpreußen-Gottesdienst mit Pastorin Kaiser-Reis in Hamburg-Harburg am 27. Juli 2025

Ev. – Luth. Kirchengemeinde Harburg-Mitte
Gottesdienst mit GeO am 27.07.2025

Predigt zu 1. Mose 32, 23-32 – Pastorin Sabine Kaiser-Reis

Lieder:
EG 455 Morgenlicht leuchtet

Übertragung und Nachdichtung des Textes Jürgen Henkys, geb. 1929 in Heiligenkreuz
EG 346 Such, wer da will, ein ander Ziel
Text: Strophe 1- 4, Georg Weissel, geb. 1590 in Domnau, Pfarrer in Königsberg, dort gest. 1635;
Melodie: Johann Stobäus, Domkantor & Hofkapellmeister in Königsberg, dort gest. 1646
EG 329 Bis hierher hat mich Gott gebracht
Melodie: Peter Sohren, geb. 1630 und gest. 1692 in Elbing
EG 459 Die Sonn hoch an dem Himmel steht
Text: Ambrosius Lobwasser, Professor der Rechte in Königsberg, dort gest. 1585

Liebe Gemeinde,

vor ein paar Monaten habe ich mir einen Podcast über einen Kunstfälscherskandal angehört, der in den fünfziger Jahren die Gemüter bewegte. Im Mittelpunkt stand die Mutter der Backsteingotik, die Marienkirche zu Lübeck, und ein gebürtiger Königsberger. Interessante Mischung, fand ich.  

Der Name dieses Mannes, Lothar Malskat, sagte mir zunächst nichts genauso wenig wie die einundzwanzig Scheinheiligen oder auch der Truthahn im Schleswiger Dom.

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Für alle anderen der Hintergrund der Geschichte:

Lothar Malskat, 1913 in Königsberg geboren und aufgewachsen, arbeitete schon vor dem 2. Weltkrieg im Team eines damals bekannten Kirchenrestaurators namens Fey. Dieses Team hatte in den 30er Jahren u.a. im Schleswiger Dom frühgotische Malereien restauriert. Dass danach ein Truthahn die Wand zierte, nahmen die Nazis als Beweis für die Entdeckung Amerikas durch die Wikinger und auch den kirchlichen Auftraggebern schien die Anwesenheit eines Truthahns in ihrer Kirche kein großes Kopfzerbrechen zu bereiten. Keiner kam auf die Idee einer Fälschung aufgesessen zu sein. 

Nach dem Krieg wurde die beschädigte Lübecker Marienkirche renoviert und restauriert und das Team Fey kam inklusive des nun heimatlos gewordenen Lothar Malskat wieder zum Zuge. 

Die Ausgangslage für das Team war ähnlich wie im Schleswiger Dom. Von dem nämlich, was da eigentlich restauriert werden sollte, war kaum bzw. gar nichts mehr übrig. Das wurde allerdings sorgsam vor den Auftraggebern geheim gehalten und das Team wurde wie schon in der Vergangenheit wieder kreativ tätig. Lothar Malskat schuf exklusiv für das Deckengewölbe und die Wände der Kirche einundzwanzig Heilige. Man war begeistert. Zur 700-Jahr-Feier der Grundsteinlegung reiste Bundeskanzler Adenauer an und die „national bedeutsamen Fresken“ schafften es als Motiv auf Briefmarken der Bundes-Post im Jahr 1951. Der Restaurator Fey wurde gefeiert.  

So weit so gut. Keiner hatte was gemerkt. Aber es rumorte. Nicht bei den Auftraggebern, den Fachleuten oder in der Öffentlichkeit, sondern beim Urheber der Heiligen, bei Lothar Malskat. Der nämlich konnte es überhaupt nicht aushalten, nicht beim Namen genannt zu werden. Tatsächlich zeigte er seinen Chef und kurz darauf sich selbst an, die Heiligen gefälscht zu haben. Damit kam 1952 der Kunstfälscherskandal ins Rollen und an die Öffentlichkeit. Die Heiligen wurden zu Scheinheiligen degradiert und auch die Sache mit dem Truthahn in Schleswig musste richtiggestellt werden. Beide Männer wurden zu nicht als zu langen Haftstrafen verurteilt. 

Was für ein Schlawiner! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber so ganz böse kann man diesem Schlitzohr Malskat gar nicht sein, oder? Wir sind dabei in guter Gesellschaft, denn auch Gott, der HERR, hatte eine Schwäche für so eine listige, gerissene, betrügerische Person. Sie ahnen sicher, wen ich meine … ja, Jakob. 

Von ihm und seinem Kampf am Jabbok haben wir vorhin gehört. Jakob ist kein unbeschriebenes Blatt: Erschleichung des väterlichen Segens mit tatkräftiger Unterstützung seiner Mutter, nachdem er sich zuvor schon listig das Geburtsrecht des Bruders gesichert hatte; Flucht, nachdem der Betrug aufgeflogen war; die Brautwerbung um Rahel, bei der er zunächst als betrogener Betrüger dasteht; inzwischen ein reicher Patriarch mit zwei Hauptfrauen, mehreren Nebenfrauen, der großen Kinderschar und seinen Herden. Doch konnte er sich und die Seinen nur mit List aus der Herrschaft und dem Einflussbereich von Schwiegervater Laban befreien. Gott, der Herr selbst, hatte ihm geraten: „Zieh wieder in deiner Väter Land und zu deiner Verwandtschaft; ich will mit dir sein.“ (1. Mose 31, 3) 

Nun steht er vor der nächsten großen Herausforderung. Er will sich mit seinem Bruder Esau versöhnen, hat bereits Geschenke vorausgeschickt, aber er weiß natürlich nicht, wie er auf der anderen Seite des Flusses empfangen werden wird. So weit also die Ausgangslage, bevor die Geschichte erzählt wird. Und die ist schon sehr sonderbar, wenn auch teils nachvollziehbar – wie zum Beispiel, dass die letzte Nacht vor der Begegnung mit dem Bruder für ihn sehr unruhig wurde. Sicher war Jakob hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Furcht über den Ausgang der Begegnung. Zudem musste er sich ja auch der eigenen Vergangenheit stellen und sich seine Schuld eingestehen. Dass ihm dies eine schlaflose Nacht bereitete, finde ich gut nachvollziehbar. 

Da rang einer mit ihm bis die Morgenröte anbrach. (Vers 25)

Ganz unvermittelt wird Jakob in diesen nächtlichen Kampf verwickelt. Mit wem? Ein Mann, ein Dämon, ein Engel, Gott der HERR selbst oder ist es, metaphorisch gesprochen, das eigene Gewissen mit dem Jakob da ringt? 

Jakob ist sich sicher: Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin am Leben geblieben (Vers 29), sagt er.  

Ganz im Gegensatz zu späteren Auslegern dieser Geschichte, jüdischen wie christlichen. Sie bezweifelten, dass Gott der HERR mit einem Menschen ringt und ihn nicht bezwingen kann. Das kann doch wohl nicht wahr sein! 

Ein ausgeglichener Kampf, kein Sieger und Verlierer und Jakob geht am Ende zwar hinkend doch gesegnet und mit neuem Namen. Was nicht sein darf, das kann doch auch nicht sein. Deshalb die Versuche einen Dämon oder Engel in die Geschichte hineinzuschieben und Gott aus dem Spiel zu lassen. Irritierend und sonderbar ist diese Vorstellung der nächtlichen Rangelei mit Gott. Und dass die Ausleger den Allmächtigen da heraushalten wollten, ist durchaus verständlich. Mit etwas Fantasie und ohne große Anstrengung konnten sie die Geschichte damit etwas „entschärfen“. 

Für Martin Luther war der nächtliche Ringkampf Ausdruck des menschlichen Ringens mit dem Glauben. Eine Vorstellung, die ihm sicher nahe war. Wenn Krankheit, Not, Zweifel einen Menschen überfallen oder gefangen halten, der Glaube erschüttert ist, dann ist ein Mensch nicht weit davon entfernt, mit Gott zu hadern und zu ringen. 

Auch dass Jakob mit seinem eigenen dunklen Schatten ringt und mit der Schuld, die er lange versteckte, und die nun mit Macht in sein Bewusstsein dringt, ist nachvollziehbar. 

Und die provokante Version, Jakob ringt mit Gott? 

Ich habe eine moderne jüdische Version der Auslegung gefunden, die ich ganz erhellend finde: 

„Das Ringen mit Gott spiegelt die rabbinische Auffassung, wonach jeder Mensch ständig zwei entgegengesetzte Neigungen gegeneinander abwägen muss, (…) die Neigung zum Bösen, und (…) die Neigung zum Guten. In Jakobs Ringkampf geht es um den Kampf zwischen seiner menschlichen Neigung, vor schwierigen Situationen davonzulaufen, und dem göttlichen Funken in seinem Inneren, der ihn dazu bringt, das Richtige zu tun. Er überschreitet den Fluss als ein verwandelter Mensch, er lässt seine Identität als Jakob – der Betrüger, der Lügner und der Schwindler – zurück und geht als Israel daraus hervor, derjenige, der sich Gott und den Menschen stellt. Aber der Kampf hat natürlich seinen Preis; Israel ist verletzt, körperlich und seelisch, und fortan hinkt er.“ (siehe Wolfson)

Jakob gibt, indem er seinen Namen nennt, zum ersten Mal zu, dass er betrogen hat. Erst danach kann er auch am nächsten Tag seinem Bruder gegenübertreten. „Denn ich sah dein Angesicht, als sähe ich Gottes Angesicht.“ (1. Mose 33,10) sagt er tags darauf zu Esau. Die Bereitschaft, seine betrügerischen Machenschaften zu bekennen, wird so zum Weg zu Gott und auch zum Weg zur Versöhnung mit dem Bruder. „Nächstenliebe wird zur Gottesliebe und Gottesliebe zur Nächstenliebe.“ (vgl. und siehe Schambeck, Seite 5) Gott lässt nicht locker, er tritt immer wieder neu auf allen möglichen und auch unmöglichen Wegen an den Menschen heran, um ihn zum Leben hinzubewegen. Das ist die theologische Verheißung des Kampfes am Jabbok, die Heilsbotschaft die nicht nur Jakob und Israel gilt, sondern allen Hörerinnen und Hörern. (vgl. Schambeck, Seite 7) So hört sich eine moderne christliche Auslegung an.

Ein kurzer Blick auf Lothar Malskat: Der hatte zunächst – ganz rachsüchtig – nur seinen Chef angezeigt, bevor er einige Wochen später mit der Selbstanzeige seine Beteiligung an der Fälschung zugab. Was zeigt, dass er zumindest mit sich einige Zeit ringen musste.  Übrigens hat er nach der Haftentlassung seine Werke mit eigenem Namen signiert. Sein Fälscherleben konnte er also hinter sich lassen.

Jakobs Anliegen von Anfang an und immer wieder ist der Segen. Um ihn zu bekommen, hatte er betrogen, um ihn zu bekommen ringt er mit Gott. 

Ich lasse dich erst los, wenn du mich gesegnet hast. (Vers 27) Und er segnet ihn. Bei Sonnenaufgang geht Jakob als Israel und Verwandelter. 

Sich segnen lassen oder Segensworte zusprechen, das sind Bedürfnisse, vielleicht Grundbedürfnisse, die wir Menschen untereinander und mit Gott teilen. In jedem unserer Gottesdienste geht es immer auch um die Vergewisserung des Segens. So sage ich jetzt am Ende zu Ihnen allen: Geht in Frieden. Bleibt in der Liebe. Vertraut euch dem Weg an, der unter euren Füßen wächst. 

AMEN

gehört:

Kunstverbrechen. Der Kirchenfälscher von Lübeck (2 Teile)

https://www.ardaudiothek.de/episode/urn:ard:publication:8c0458635e3b9b97/ https://www.ardaudiothek.de/episode/urn:ard:episode:cef4b988f7d1ad04/

gelesen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Lothar_Malskat

Predigtstudien 2022/2023 Perikopenreihe V, Erster Halbband, Seite 232-238

gelesen und zitiert:

Artikel von Ron Wolfson, 21.07.2025 

https://www.juedische-allgemeine.de/religion/zu-zweit-zum-sieg

Mirjam Schambeck, PDF, 21.07.2025

https://www.die-bibel.de/ressourcen/wirelex/4-inhalte-i-bibeldidaktik/jakob-bibeldidaktisch-sekundarstufe